Bielefeld bedankt sich mit Gala-Diner auf Rädern
Eigentlich sind die Türen beim Bielefelder Mercedes-Händler Beresa samstags nur zum Schauen geöffnet. Doch an diesem Tag öffnen sie sich ab 17 Uhr beinahe im Minutentakt. 22 freiwillige Helferteams sind auf dem Weg in die zur Verfügung gestellte Betriebskantine, in der Chefkoch Salvador Marin-Martinez mit seinem vierköpfigen Team bereits die ersten Menüs des großen Gala-Diners zusammengestellt hat.
So beginnt die Woche für pflegende Angehörigen bereits zum 6. Mal mit einem feierlichen Menü, zum 1. Mal – allerdings mit einem ganz neuen Konzept: „Statt einem gemeinsamen Gala-Diner haben wir uns entschieden, die Menüs direkt in die Haushalte zu bringen“, sagt Sozialdezernent Ingo Nürnberger. Aufgrund der besonderen Corona-Situation in diesem Jahr sei nicht klar gewesen, ob das Gala-Dinner überhaupt zu stemmen sei, so Pastor Ulrich Pohl, Vorstandsvorsitzender der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel und Schirmherr der Initiative. „Doch der Mut war da und die Unterstützung unserer zahlreichen Partner groß.“ Er macht sich gemeinsam mit Oberbürgermeister Pit Clausen, ebenfalls Schirmherr der Initiative, dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände, Ulrich Paus, und Sozialdezernent Ingo Nürnberger auf den Weg, um persönlich zwei der insgesamt 250 bestellten, kostenfreien Wunschmenüs auszuliefern.
Die Adresse auf dem sorgsam geplanten Lieferzettel führt zuerst in den Bielefelder Westen in das Haus von Dirk Wintzer. Die Thermobox mit den gemischten Vorspeisen, den Black-Angus-Hüften mit Prinzess-Bohnen und Kartoffel-Gratin wird aber vorerst noch nicht geöffnet, denn kaum über die Türschwelle getreten, lädt Wintzer erst noch zu einem kleinen Getränk ein. An diesem Samstag feiert er seinen 81. Geburtstag und zieht so beim Lebensalter mit seiner an Demenz erkrankten Frau gleich, die er seit 12 Jahren morgens und abends zu Hause pflegt. Damals, 2007, wollte das Unternehmerpaar eigentlich damit beginnen, die wohlverdiente Rente gemeinsam aktiv zu genießen. Doch die Symptome seiner Frau nahmen zu und machten eine intensive Pflege erforderlich.
Sich liebevoll kümmern, immer da sein, Verantwortung übernehmen: Was in der Regel bereits enorme Hingabe erfordert, wird in Corona-Zeiten für pflegende Angehörige noch herausfordernder. Deshalb sei die Aktionswoche in diesem Jahr nochmal besonders wichtig, so Pit Clausen, der sich mit der kulinarischen Aufmerksamkeit für „den großen Dienst an ihrer Frau und der Gesellschaft“ bei Wintzer „stellvertretend für tausende weitere pflegende Angehörige“ bedankt.
Zu Beginn sei die Pflege für den Rentner eine große Herausforderung gewesen, doch Zweifel daran, ob er sie bewältigen können wird, habe er nie gehabt, sagt der ehemalige Hobbysegler. „Andersherum wäre die Pflege noch viel schwieriger, allein schon physisch gesehen“, so Wintzer, der im Netz für mehr Mut „gerade bei Männern“ wirbt, den Pflegeherausforderungen zu begegnen. Unterstützung bekommt er dabei wochentags von der Tagespflege in der Moltkestraße. Dort habe man ihn auch auf die Aktionswoche aufmerksam gemacht.
Bevor das seit 51 Jahren verheiratete Paar demnächst wieder die Herausforderungen ihrer nächsten gemeinsamen Reise auf sich nimmt, kann sich Dirk Wintzer an diesem Abend schon einmal vorab eine kleine Auszeit nehmen: von seinen „stetig besser werdenden“ Fähigkeiten am Herd.
Neben den Galamenüs gibt es in der laufenden Aktionswoche noch weitere kostenfreie Angebote für pflegende Angehörige: Massagen, Fußpflegestunden und Tanzkurse sind über die Woche verteilt. Am kommenden Samstag werden zum Abschluss Picknickkörbe für ein großes Frühstück zu den angemeldeten Familien gebracht.